Im Ghetto Vecchio, dem Jüdischen Viertel in Venedig, ist die Scola Levantina (Levantiner Synagoge). Sie befindet sich im Sestiere Cannaregio, und ist eine der beiden zu besichtigenden Synagogen Venedigs.

Wir haben den Besuch im Ghetto, dem Jüdischen Viertel von Venedig, immer wieder hinausgeschoben. Das war der letzte Rundgang in dem kleinen, in sich abgeschlossene Viertel, der uns im Stadtviertel Cannaregio noch fehlte. Tagesfüllend schien mir dieser Besichtigungspunkt nicht zu sein. Deshalb haben wir den Besuch dann relativ ans Ende unserer vier Wochen in Venedig auf einen Sonntag gelegt. Normalerweise meiden wir bei unseren Langzeitstädtereisen am Sonntag die Städte und überlassen sie den Wochenend- und Sonntagstouristen. Bei vier Wochen kann man da schon großzügig sein 😉

Recht früh ging es an diesem Sonntag von unserer Ferienwohnung in Mestre über die Ponte della Libertà (Freiheitsbrücke) in die Lagunenstadt. Obwohl wir in diesen vier Wochen fast täglich die Strecke zweimal gefahren sind, war sie doch für mich jeden Tag aufs neue spannend. Meistens war es nicht möglich, so einen Platz zu ergattern um die Blicke im Bild festzuhalten. Ich habe irgendwann meine Versuche aufgegeben, und ganz einfach nur den sich fast täglich wechselnden Blick auf die Lagune aufgesaugt, wie ein Schwamm das Wasser. Dabei wären es wunderschöne Fotos geworden, wenn die Lagune morgens noch im tiefen Nebel lag, die Sonne am Himmel bereits hervorblitzte, es aber noch nicht schaffte, Herrin über die Nebelsuppe zu werden.

Aber an diesem Sonntag war alles komplett anders als sonst – diese Blicke wie sonst, waren heute undenkbar. Bereits an der vorletzten Haltestelle vor der Brücke war die Tram so hoffnungslos überfüllt, dass sie keinen einzigen Menschen der vielen Wartenden mehr aufnehmen konnte. Hä, was ist denn auch heute los?

Entsetzten zog sich dann über mein Gesicht, als ich die schier unvorstellbaren Menschenmengen an den Vaporetti-Haltestellen am Piazzale Roma sah. Vermutlich hat der Brückentag vor dem Allerheiligenfeiertag die Menschenmassen in die Stadt gezogen? Dass dem so war, und bereits am frühen Morgen die Hilferufe der Fahrbetriebe nach mehr Schiffen, und die Unterstützung durch die Polizei laut wurden, bekam ich erst später mit. Das kann ja lustig werden ….

Zügig, mittlerweile kannten wir uns ja schon etwas besser aus, gingen wir dem Menschenpulk aus dem Weg. Kamen durch kleine Gässchen direkt zum Canale di Cannaregio, wählten die zweite Brücke und erreichten so die schmale Gasse, die zu den Synagogen führt. Nur ein kleines Hinweisschild weist den Weg, aber von mir wisst ihr jetzt: kurz vor der Vaporetto-Haltestelle „Guglie“ müsst ihr von der Fondamente Cannaregio in die Calle Ghetto Vecchio abbiegen. „Ghetto Vecchio“ – das alte jüdische Viertel und unsere Besichtigungen der Synagogen beginnen an einem kleinen alten Häuschen.

Kommt mit zu

meiner Besichtigung der Scola Levantina (Levantiner Synagoge) in Venedig

die nach dem Betreten der offenen Türe erst einmal mit einer Sicherheitskontrolle endet. An diesen beiden Herren kommt ihr unkontrolliert nicht vorbei. Nicht einmal, um in dem kleinen Shop Eintrittskarten, Bücher oder entsprechende Souvenirs zu kaufen. Wir kennen das Procedere bereits – alles darf in eine Schale, wird durchleuchtet, während hier sogar einer der Herren einen Body-Scan durchführt. Egal ob in Florenz oder Venedig, bei den berühmten großen Sehenswürdigkeiten gehört das einfach dazu. Bei unser Langzeitstädtereise nach Prag haben wir es so ausführlich nur an den Eingängen zur Prager Burg erlebt – UND, und das mit noch mehr Polizeipräsenz als hier in Venedig bei den ganzen Synagogen in Prag.

An der Kasse, unsere Eintrittskarten hatten wir bereits im Vorfeld mit dem Museums- und Choruspass (unbedingt empfehlenswert) online erworben, erfuhren wir dann, dass leider nur zwei der fünf Synagogen in Venedig zu besichtigen sind. Das i-Tüpfelchen machte dann die Info, dass das Jüdische Museum auch nicht betreten werden will. Nach einer zwar jetzt abgeschlossenen Renovierung, hat die jüdische Gemeinde das Museum noch nicht für die Besucher freigegeben. Man könnte es dann das Sahnehäubchen auf dem ganzen nennen, dass wir zwar fotografieren dürfen, aber die Scola Spagnola (Spanische Synagoge) und die Scola Levantina nur im Rahmen einer Führung zu besichtigen sind.

Was soll’s. Auch wenn ich Führungen nicht unbedingt mag – ich bestimme Besichtigungen lieber in meinem Tempo, dann kann ich besser fotografieren 😉 – interessant ist so eine Führung bestimmt. Um es gleich vorweg zu nehmen: JA, ist sie! Auch wenn es sie nur in englisch oder italienisch gibt, man erfährt doch einiges über das Ghetto und die Synagogen, was nicht in Reiseführern nachzulesen sind. Aber solche Insider-Informationen aus Führungen kommen sehr selten in meine Reiseberichte. Ich würde ja den Veranstaltern damit nur schaden, was mit meinen Berichten nun so gar nicht meine Intension ist.

Als unsere Besichtigungszeit gekommen war, ging es mit der Gruppe nach draußen. Auf dem Weg habe ich mich schon gefragt – wo bitte sind hier Synagogen?

Die Außenansicht der Scola Levantina in Venedig

gibt die Antwort. Sie kann als ein Wohnhaus, oder als ein kleiner Palazzo durchgehen, man sieht ihr auf den ersten Blick nicht an, dass sich hinter den Mauern im ersten Stock eine Synagoge befindet. Das rührt aus einem venezianischen Verbotes her, dass auf Grundstücken in der Stadt keine Synagogen erbaut werden dürfen. Kurzerhand hat man sie dann eben als Wohnhaus ‚getarnt‘.

Bevor es mit der Innenbesichtigung weitergeht,

ein bisschen Geschichte zur Scuola Levantina in Venedig

Ja, Synagogen in Venedig dürfen sich ebenfalls Scuola (oder Scola) nennen, wie die Bruderschaften.

Was ist eine Scuola in Venedig?

Geistliche oder caritative Korporationen wurden im Spätmittelalter in der Republik Venedig als Scuole bezeichnet. Ohne die Genehmigung von geistlichen oder politischen Institutionen war die Gründung solcher Korporationen aber nicht möglich. Während sich in Scuole grandi wohlhabende Männer zu dieser Vereinigung zusammenschlossen, taten sich bei den Scuole piccole Händler und Handwerker zusammen. Aus dem Jahr 1501 ist überliefert, dass es zu dieser Zeit insgesamt 210 solcher großen und kleinen Scuole gab, die mit dem Begriff ‚Schule‘ aber nichts gemein haben.

Die Scuole wurden nach dem Vorbild der Republik organisiert und verwaltet: jährlich wurde in einer Generalversammlung ein Vorstand gewählt, dessen Arbeit von beigeordneten Räten überwacht wurde. Mitglieder einer Scuole erkannte man an der einheitlichen Tracht. Vermögende Mitglieder sponserten den Bau oder die Ausstattung einer Scuola, die sich oftmals mit ihrer Außenpräsentation ein Wettrennen lieferten.

In Venedig sind heute sechs Scuole Grande zu besichtigen.

Waren im 5. und 6. Jahrhundert in Venedig Juden nur als Händler willkommen, aber bitteschön nicht zum dort wohnen und leben, so änderte sich das Mitte des 14. Jahrhunderts wohl eher aus einer miserablen wirtschaftlichen Lage heraus. Der Handel lag durch zwei Kriege quasi im Untergang, die Pestepedemie hat das noch verstärkt, und der Stadtrat stand nun vor dem Problem – wo bekommen wir Geld her? Man besann sich der Juden, die zwar in Venedig Handel betrieben, aber in Mestre auf dem Festland lebten. Da den Juden zu dieser Zeit untersagt war, in anderen Berufen außer Handel tätig zu sein, verlagerten viele ihre Tätigkeiten zudem in Pfandleihegeschäft. Aus dieser Not profitierten wiederum die Christen, denen es zu dieser Zeit nicht erlaubt war, für eine Gegenleistung, also einen Zins, an andere Christen Geld zu verleihen.

Man kann sich also vorstellen, dass hier der Markt mit jüdischen Pfandleihern blühte. Ob das jetzt immer zu reellen Zinsforderungen war, sei mal dahingestellt. Jedenfalls sah der Große Rat nur eine Möglichkeit die Wirtschaft wieder ins Laufen zu bringen – jüdische Pfandleiher dürfen sich jetzt in der Stadt niederlassen. Zwar nur mit befristeten Aufenthaltserlaubnissen, aber immerhin. In dieser Zeit entstand das Ghetto Novo.

In Spanien und Portugal begann aber in dieser Zeit auch das Machtgehabe von Ferdinand II., und damit die Zeit einer blutigen Judenverfolgung für diejenigen, die nicht bereit waren für den König ihren Glauben aufzugeben. Eine Fluchtbewegung nach Osten setzte ein. Viele wählten erstmal Stationen in Städten um das östliche Mittelmeer, bevor sich viele auf den Weg nach Venedig machten. Dieses Gebiet nennt sich Levante, also nannte man die Menschen die aus diesem Gebiet in Venedig ankamen – die Levantiner. Unter ihnen auch Kaufleute, vermögende Kaufleute, die mit dem Senat von Venedig dann 1541 aushandelten, dass sie in Venedig ihren Lebensbereich bekommen. Da das erste Viertel bereits von Juden bevölkert war, schuf man mit dem Ghetto Vecchio einen kleinen Bereich für diese Menschen, die sich einer eigenen Gemeinde zusammenschlossen.

Recht schnell wurde dann eine Synagoge gegründet – die Scuola Levantina, die die erste im Ghetto Vecchio wurde. Wann genau – da liegt ein kleiner Schleier drüber. So zwischen 1538 und 1561 soll es gewesen sein. Übrigens bezieht sich der Ghetto-Name ‚Vecchio‘ (alt) nicht auf die Ansiedlung der Juden, die waren davor ja schon im Ghetto Novo in Cannaregio. Sie bezieht sich vielmehr auf die Gegend, die davor ein altes Gießereiviertel war.

1680 wurde die ersterbaute Synagoge dann in Schutt und Asche gelegt und abgerissen. Eine größere und viel repräsentativere Synagoge sollte entstehen. Wie es in den anderen Scuole auch war, so auch bei den Synagogen – man trat in einen kleinen Wettbewerb zur benachbarten Spanischen Synagoge. Hach ja, es ist auch heute in vielen Bereichen doch noch so – immer ein bisschen mehr, immer ein bisschen besser als der andere. Ob das auf Dauer zufriedener macht? Ich glaube nicht. Möglicherweise, so spricht man es Fassadenelementen zu, soll auch dieser Neubau aus der Werkstatt von Baldassare Longhena stammen.

Genug Geschichte, kommt mit zur 

Innenbesichtigung der Scola Levantina (Levantiner Synagoge) in Venedig

Auch hier, so gebietet es der Brauch auch den Besuchern und Touristen, nahm sich jeder männliche Besucher eine Kippa. Nachdem die Gruppe im ersten Stock angekommen war, kam bei mir (mal wieder) die Bestätigung hoch, dass geführte Besichtigungen und ich keine wahren Freunde werden, sondern eher Zweckgemeinschaften um in das begehrte Objekt zu kommen. Die Synagoge war kleiner als die Spanische Synagoge – dafür war die Besuchergruppe einfach zu groß, um in Ruhe fotografieren zu können. Da ich schmückendes Beiwerk in Form von Menschen nicht auf meinen Fotos haben möchte, war das dann natürlich die Herausforderung für Emma und mich.

Die Anordnung in den Synagogen ist immer diesselbe – auch hier erhöht

die Bima in der Scola Levantina in Venedig

Eine geschwungene Treppe rechts und links führt auf den erhöhten Podest, von dem aus der Lehre Gottes vorgelesen wird. Wie in der Spanischen Synagoge ist auch hier die Innenausstattung in Holz, prachtvoll und wunderschön geschnitzt.

Ihr merkt es an meinen Fotos, ich war nicht glücklich über die Ergebnisse. Die Synagoge war um einiges kleiner als die Spanische Synagoge, folge dessen waren die Menschen alle im Pulk. Ich hatte keine Chance auf ein Gesamtbild, oder eine Chance dem Gegenlicht aus dem Weg zu gehen um bessere Fotos zu bekommen. Insgesamt wäre das für euch ein Grund, euch die Synagoge direkt vor Ort in Venedig anzuschauen.

Ich dreh mich jetzt einmal um, denn genau gegenüber der Bima ist 

der Thoraschrein in der Scola Levantina (Levantiner Synagoge) in Venedig

Zwar ist die Synagoge mit Damast und sonstigen Elementen reichhaltig ausgestattet, trotzdem bleibt der Aufbewahrungsort für die Schriften neben der Bima der Blickfang in der Synagoge. Er stammt aus dem Jahr 1782.

Auffallend viele Tabernakel gibt es in der Synagoge.

Und, wie auch in der Spanischen Synagoge gleich gegenüber, sind die Leuchter ein Blickfang.

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Ein letzter Blick zurück in die prachtvolle Synagoge, bevor wir uns dann von unserer netten Tourführerin verabschiedet haben.

Für mich ist es immer wieder spannend, einen Blick in andere Religionen zu werfen. Zumal diese Synagogen so ganz anders sind, als die, die wir bei unserem Besuch in Prag besucht haben.

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