Ja, wieder einmal kann Sachsen-Anhalt mit etwas Besonderem auftrumpfen. Uns hat dieses Tunnelsystem unter der Stadt sooo neugierig gemacht, dass wir kurzerhand in die kleine Stadt im Südosten von Sachsen-Anhalt gefahren sind. Im wahrsten Sinne des Wortes muss das eine ’süße‘ Stadt sein. Vor den Toren der Stadt sind die Fabriken des größten Zuckeranbieters der Welt. Und was erwartet uns da in der Unterwelt?
Es schien, als wäre die Stadt an diesem Samstag ausgestorben. Mitten in der Stadt ein freier Parkplatz, wow. Schnell haben wir auch das Haus gefunden, von wo wir in die Unterwelt starten konnten. Auch hier schien es, als haben sie nur auf uns gewartet, wir waren die einzigen Besucher. Für 5,50 € Eintritt wurden wir für die Unterwelt ausgestattet und erhielten eine kurze Einführung.
Wir erfuhren auf dem Weg zum tatsächlichen Eingang zur Unterwelt, dass der Verein, der für die Pflege und Führungen zuständig ist, ein neues Quartier bekommen hat. Bisher waren sie direkt ‚im Keller‘ untergebracht gewesen. Ich finde, der Tausch war sinnvoll. Ich hätte dort nicht den ganzen Tag auf Steinboden, Gewölbe und Kälte auf die Besucher warten mögen.
Unter den ältesten Teilen der Stadt wurde dieses Gangsystem kreuz und quer angelegt und ausgebaut. Oft nicht viel breiter als einen Meter sind die Gänge, die mühsam in jahrzehntelanger Arbeit in den Buntsandstein gehauen wurden. Da man nicht in die Breite bauen konnte, ging es eben dann in die Tiefe. In einigen Fällen sogar 3 Stockwerke und gut 8 Meter tief unter der Straße.
Die Gänge selbst sind ganz verschiedenartig angelegt – tunnelartig mit nach oben zulaufenden Wänden (jetzt weiß ich auch, warum der Helm so wichtig ist!), oft waagerecht begrenzt oder mit rundlichen Bögen. Manchmal sind die Seitenwände sorgfältig geglättet und ‚Stein auf Stein‘, manchmal einfach so gelassen wie man den Weg aus dem Stein geschlagen hat.
Man könnte jetzt denken, diese Gänge wären vielleicht zu Luftschutzzwecken im zweiten Weltkrieg angelegt worden. Tatsächlich hat man sie da auch genutzt, teilweise miteinander verbunden, mit Licht und Sitzgelegenheiten ausgestattet und mit fest verschließbaren Stahl- oder Holztüren verschließbar. Aber dies war nicht der Grund für die Schaffung dieser Gänge. Ein Grund war, das unterirdische System als Lagermöglichkeit für Lebensmittel zu nutzen.
Tatsächlich entstanden die unterirdischen Gänge im 14. – 16. Jahrhundert über mehrere Generationen hinweg. Wir im Schwäbischen würden jetzt sagen ‚das waren Cleverle ond net domm‘, haben sie doch ganz genau gewusst (auch ohne Statiker) wo sie graben durften, damit die Stabilität des Hauses darüber erhalten blieb.
Was in anderen Gegenden der Wein, war es in Zeitz das Bier. Nur in Zeitz war das Bierbrauen gestattet, denn im Mittelalter war Bier nicht nur ein Genussmittel, sondern auch ein wichtiges Grundnahrungsmittel. Biersuppe, man kennt sie auch heute noch. Damals war sie Grundnahrung und da der Alkohol beim Kochen verloren ging, bekamen sie auch die Kinder. Und für die Stadt bedeutete es eine Einnahme für den städtischen Haushalt, denn ohne Steuer kein Bier.
Soweit so gut, das Bier musste aber auch reifen und lagern. Und dazu brauchte es eine konstante Temperatur, die mit 11-13 Grad Celsius in den Gewölben gegeben war. Das war aber nicht der einzige Grund, bis zu acht Meter in die Tiefe zu gehen. Denn brauen durfte nur derjenige, der auch eine entsprechende Lagerkapazität nachweisen konnte. Viele kleine Keller ergaben auch ein Großes, denn einen großen Keller anzulegen war viel zu mühsam. Schaut mal, wie das aussieht ….
Hmm …. für manche war das vielleicht etwas zu viel.
Der Untergang des Bierbrauens in Zeitz begann im 17./18. Jh., da in anderen Städten mit moderneren Verfahren zunehmend auch Bier hergestellt wurde. Auch nach Zeitz gelangten diese ‚Exporte‘, die natürlich besser schmeckten und so übernahm dann 1885 eine Brauerei diese zuvor in Heimarbeit hergestelle Bierbraukunst. Somit hatten die Gänge ihren Sinn verloren. Unser Gästeführer erzählte uns (nicht gerade erfreut), dass die Gänge fortan mit Müll und Schutt gefüllt wurden. Teile wurden, wie oben erwähnt im zweiten Weltkrieg freigeräumt und als Luftschutzkeller benutzt.
Bereits in DDR-Zeiten hat man sich Gedanken gemacht, wie man dieses System für die Öffentlichkeit begehbar machen kann. Da sich über diesem Gangsystem aber auch das Rathaus und die Polizei befand, war dies den damaligen Machthabern zu heikel.
Am 6. Mai 1990 nahm diese Arbeit aber die neu gegründete Interessengemeinschaft an die Hand und die Mitglieder legten gemeinsam mit ABM-Mitarbeitern die Gänge frei, schafften Verbindungen und der erste Abschnitt einer Touristenstrecke war 1992 begehbar. Viele Gänge münden in eine Sackgasse, und mit Sicherheit liegen noch viele weitere Gänge dort unten und warten auf ihre Entdeckung.
Wir sind kurz nach Einstieg zu einer Vierer-Gruppe angewachsen und die ca. 45 Minuten vergingen mit den lebhaften Ausführungen wie im Flug.
Prädikat unbedingt sehenswert!
Nach über einer dreiviertel Stunde in der kalten Unterwelt hatten wir dringend das Bedürfnis uns bei einem Kaffee aufzuwärmen. Und so machten wir uns auf die Suche in die kleine Innenstadt. Drei große Plätze …. kaum Menschen auf der Straße (immer noch nicht) … und kein offenes Café oder eine kleine Wirtschaft. Im wahrsten Sinn des Wortes – tote Hose.
Deshalb ging es dann gleich weiter zum Dom St. Peter und Paul in Zeitz und zu Schloss Moritzburg.
So toll dein Bericht. Von diesen unterirdischen Gängen hatte ich vorher noch nie gehört. Ich vorgemerkt für einen Ausflug, falls wir mal in die Nähe kommen. Ich weiß, dass ich UNBEDINGT EINE THERMOSFLASCHE mit heißem Tee dabei haben werde… Danke für den tollen Bericht…
Danke Tina und sehr gerne.
Es ist eine sehr interessante Gegend da im südlichen Sachen-Anhalt. Sehr empfehlenswert.
*Lach* ja, das habe ich in der Folge dann auch öfters dabei gehabt. Ist zu dieser Zeit nicht das Verkehrteste.