Der Palazzo Pretorio mitten im mittelalterlichen Hügelort Certaldo Alto – einst eine Burg, später das Machtzentrum des kleinen Ortes – lädt heute die Besucher im Museum ein, in die frühere Zeit einzutauchen.

Nachdem uns zwei Tage eine dicke Erkältung ausgeknockt hat, war heute Schluss mit dem Faulenzerleben. Ja, die paar Sonnentage zwischen Regentagen waren tückisch. Wir haben doch etwas unterschätzt, dass auf den kleinen Bergstädtchen noch ganz schön kalt der Wind zwischen den Gemäuern durchpfeifen konnte. Irgendwie war halt die Vorstellung im Kopf: Toskana – Süden – schönes Wetter. Dass das auch anders geht haben wir in den ersten fast drei unserer fünf Wochen in der Toskana erlebt. Nach einem oder zwei Tagen Regenwetter kam für einen Tag die Sonne. Damit wir wussten, es gibt sie doch 😊

Bedeutet, wir haben unsere Tage oft ganz schön voll gepackt, und haben den Regentag einfach zum Erholen in unserer wunderschönen Ferienwohnung genommen. Denn die Wege in der mittleren Toskana waren doch manchmal ganz schön zeitintensiv, was der durchgehenden Geschwindigkeitsbeschränkung geschuldet ist. Aber, man sollte hier auch nicht mit dem Fuß auf dem Gas durch die herrliche Landschaft rasen. Fridolin hat sich recht schnell an das gemäßigte Tempo gewöhnt und durfte uns heute nach Certaldo im Val d’Elsa bringen.

Wir wollen die mittelalterliche Hügelstadt, Certaldo Alto erkunden. Eine kleine Hügelstadt mit engen Gassen und roten Ziegelhäusern. Nachdem uns die Standseilbahn vom neuen Stadtteil Certaldo Basso nach oben gebracht hat, war es bereits nach wenigen Schritten wie eintauchen in eine frühere Zeit.

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Inhaltsverzeichnis

meiner Besichtigung des Palazzo Pretorio in Certaldo Alto in der Toskana

Den Palazzo kann man in dem Örtchen nicht übersehen. Denn auf einem kleinen Hügel zeigt er sich uns schon von Ferne als wir nach der Bergfahrt in die Via Giovanni Boccaccio einbiegen.

Die Außenansicht des Palazzo Pretorio in Certaldo Alto

sieht man von der kleinen Straße nur zu einem Teil.

Die Außenfassade des Palazzo Pretorio in Certaldo Aldo

Wie an den meisten Rathäuser, und grob genommen war der Palazzo nichts anderes, sieht man auch hier viele Wappen. Die deuten auf ihre Regenten hin – dazu später noch mehr.

Fassade ist nicht gleich Fassade, auch wenn in den meisten Orten dieses Machtzentrum den gleichen Namen trägt „Palazzo Pretorio“.

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Hier ziehen mich die Terracotta Wappen wieder in den Bann, die entweder aus der della Robbia Werkstatt stammen, oder sie diesem Stil nachempfunden wurden. Bei weiteren Besichtigungen durfte ich nämlich lernen, nicht jede Terrakotta Arbeit stammt aus dieser berühmten Künstlerfamilie. Es gab viele Nachahmer dieses wunderschönen Stils. Und natürlich ganz groß sind auch ‚meine Bobbels‘ wieder dabei. So habe ich in unserem Langzeiturlaub 2022 in Florenz das Medici-Wappen getauft, einer Familie, die untrennbar mit der Toskana verbunden ist.

Empfehlenswert ist ein Besuch des Palazzo, den man aber nur mit einer Eintrittskarte betreten kann. Die gibt es in einem kleinen Büro vor dem Palazzo. Der kleine Ort kommt aber nicht nur mit einem Museum daher. In einer Kombikarte kann man die beiden weiteren Museen (Museum für Sakrale Kunst und Haus von Boccaccio) ebenfalls besichtigen. Beachtet aber die Öffnungszeiten, es gibt eine Mittagsruhe.

Bevor ich euch zu

meinem Rundgang durch den Palazzo Pretorio in Certaldo Alto in der Toskana

mitnehme, bekommt ihr

ein bisschen Geschichte zum Palazzo Pretorio in Certaldo Alto

Die Zeit der Etrusker überspringe ich, und hüpfe gleich ins Mittelalter, als 1164 der Ort erstmals erwähnt wurde. Wie in so vielen Orten in der Toskana hatte ‚mein Schwäble-Kaiser‘ seine Finger im Spiel: der Stauferkaiser Friedrich I. Barbarossa unterzeichnete damals nämlich ein Dokument, in dem er als Lehen den Ort in die Hände der Grafen Alberti übertrug. Warum ‚mein Schwäble-Kaiser‘? Ihr habt es in meinem Reiseblog bestimmt schon entdeckt, die eigene Seite für meine Staufer-Spuren, auf denen ich auf meinen Reisen ebenfalls unterwegs bin. Und Personen, die mir permanent dabei über den Weg laufen, schließe ich ‚in mein Herz‘ – wir bauen quasi eine Verbindung auf 😉So geschehen in Prag mit Kaiser Karl IV. und ebenfalls kann ich da einige der Heiligen mit einbeziehen.

So positiv wie ich manche der Obrigkeiten in Erinnerung habe (dabei ist aber bei Leibe nicht alles immer gut gewesen, was da befohlen wurde), so negativ habe ich einige Zeitgenossen aus der Geschichte in Erinnerung. Die Staufer mussten aber auch aus Heimatstolz mit auf meinen Blog. Lebe ich doch nur einen Steinwurf von der Stammburg der Staufer, dem Hohenstaufen, entfernt und bin in der ältesten Stauferstadt Schwäbisch Gmünd geboren und aufgewachsen. Aber nicht nur in meiner Heimat stolpert man überall über die Staufer, nein auch in der Toskana passiert dies. Wollt ihr ein bisschen mehr über die Herren erfahren, dann klickt einfach auf meine Staufer-Seite.

Die Alberti-Grafen von Prato wussten geschickt, wie sie Besitz vermehrten. Bereits im 10. Jahrhundert hatten sie Besitztümer im Val di Bisenzio, nördlich von Prato, aus der sich schließlich im 11. Jahrhundert die Stadt Prato in der nördlichen Toskana entwickelte. Zeitgleich wurden sie in den Adelsstand erhoben und waren fortan an die Grafen von Prato. Heiraten wurden im Mittelalter geschickt eingefädelt, schließlich konnte man so Besitz weiter vermehren. Dem Kaiser, damals Barbarossa, zugetan erhielt man weitere Besitztümer als Lehen, so auch Certaldo. Damit dehnten sie ihren Feudalstaat immer weiter aus, der sich bis zur Maremma im Süden zog. Auch üblich in dieser Zeit war das Aufteilen einer Adelsfamilie in verschiedene Zweige. So konnte man sich noch besser gegen Rivalen widersetzen, wurde aber auch in Kriege verwickelt. So z.B. 1107 als sie gegen die papsttreue Matilda von Canossa antraten. Ihr werdet ihr in meinen Berichten auch noch begegnen. Die Folge waren große Verluste der Familie, auch Prato wurde belagert und zerstört.

Die Familie legte ihren Schwerpunkt jetzt auf das Elsa-Tal, da kam das Lehen von Certaldo gerade recht. Doch da hatten sie die Florentiner unterschätzt. Die erreichten, dass die Grafenfamilie mehr und mehr ihre Lehen verkaufen mussten, und so kam ab Ende des 13. Jahrhunderts Certaldo in den Einfluss von Florenz, die das Schloss der Alberti beschlagnahmte und in ein öffentliches Gebäude wandelte.

1415 zog der erste Vikar aus Florenz im Palazzo Pretorio ein. Er wurde mit der Rechtsverwaltung des Ortes betraut, war aber nicht länger als sechs Monate in seinem Amt. Die Laien aus bekannten Familien, vorwiegend aus Florenz, hinterließen natürlich ihren Fingerabdruck in Form des eigenen Wappens zur Erinnerung an die Amtszeit. Man stelle sich jetzt vor – von 1415 bis zum letzten Vikar 1781 gaben sich in Summe rund 700 Vikare die Klinke in die Hand. Die Großherzöge von Habsburg-Lothringen haben durch ihre Reformen 1784 dieses Procedere abgeschafft.  Die Gemächer des Vikars wurden in Wohnungen umgewandelt, bis sie schlussendlich ab dem 19. Jahrhundert in den Besitz der Gemeinde kamen, die die Räume restaurierte und für die Öffentlichkeit als Museum öffnete.

Durch das große Eingangstor steht man

im Hof des Palazzo Pretorio in Certaldo

mit seinem überdachten Brunnen. Geschäftiges Treiben war zu beobachten, denn einzelne Räume wurden für Ausstellungen vorbereitet.

 

Die Wappen im Innenhof des Palazzo Pretorio in Certaldo

verdienen gleich mehrere Blicke. Mit meinen Fotos seht ihr aber nur ein Bruchteil der vielen Andenken an die Vikare, die hier für kurze Zeit ihre Wirkungsstätte hatten.

Der Rundgang durch den Palazzo beginnt in der

Kapelle des Vikars im Palazzo Pretorio in Certaldo

Kein Anfangsbau ist für die Ewigkeit, auch eine Burg oder ein Palazzo nicht. Anfang des 15. Jahrhunderts wurde hier großzügig erweitert, und der Vikar bekam seine private Kapelle. Die nützte er aber nicht für das Gebet, sondern auch um sich mit den Bürgermeistern seines Vikariats zu treffen. Die Wappen an den Wänden verdeutlichen, wer dazu gehörte.

Weiter geht es in den

Saal der „Dieci di Balia“ im Palazzo Pretorio in Certaldo

ein Raum, der einem das Schaudern über den Rücken laufen lässt, weiß man denn, was hier abging. Zur Erinnerung: Der Vikar ist meist einer aus gutem Hause aus Florenz. Und wir bewegen uns in die Zeit, als die Familie de Medici so langsam die Macht in Florenz übernahm.

Bis Ende des 16. Jahrhunderts war das einfach ein Raum, der für Unterkünfte benutzt wurde. Erst dann wurde er als ‚Sitzungssaal‘ umfunktioniert. Denn ein Vikar durfte wichtige Entscheidungen nicht alleine treffen. Ihm zur Seite standen zehn Magistrate der florentinischen Republik, die Dieci di Balia (die Zehn von Balia)

Was ist eine Balia?

Der Begriff Balia hatte in den drei italienischen Republiken Florenz, Siena und Perugia Verwendung mit der Bedeutung von Herrschaft, Macht und Autorität in ihrem Verwaltungsgebiet.

Sie hatte die Aufgabe, über einen bestimmten Zeitraum als Teil der Regierung Aufgaben, auch in der Justiz zu erledigen.

Zehn Magistrate sprachen hier in diesem Raum also die Urteile, die nicht anfechtbar oder widerruflich waren. Wer in diesem Raum als Angeklagter stand, war der Balia ausgeliefert.

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Oftmals wurde im Saal der Dieci auch solch ein Urteil gefällt, wie es die Zehn haben wollten. Unabhängig davon, ob es auch wirklich so war. War ein Gefangener nicht willig, so ging es im Raum nebenan zur Sache, um das zu bekommen, was man hören wollte.

Der „Raum des Leids“ im Palazzo Pretorio in Certaldo Alto

Durch Folter versuchte man ein Geständnis aus ihnen herauszubekommen. Auf den ersten Blick heute ein ganz normaler Raum, die Wappenschilder im oberen Teil stehen für die Gemeinden des Vikariats. Nur in einer Ecke sieht man noch den Zugang, die zum damaligen Gefängnis führten.

Wie sehr eine solche Tortour Auswirkungen gehabt hatte, zeigt eine Dokumentation, die man im Raum nachlesen kann, und die ich euch kurz zusammenfasse.

1594 wurde Gostanza da Libbiano, eine 60-jährige Witwe, festgenommen, die als Hebamme ihren Lebensunterhalt verdiente. Man wollte herausfinden, ob ihre Arbeit mit rechten Dingen zuging, oder sie mit Hexerei die Menschen ‚heilte‘. Beim ersten Verhör beteuerte Gostanza, dass mit den Mitteln der Volksmedizin ihre Patienten zu heilen versuchte. Aber dagegen stand die Aussage einer Frau, die in der Stadt erzählte, dass sie von ihr verhext worden sei.

Eigens zum Verhör wurde der Vikar des Bischofs von Lucca nach Lari geschickt, um sich ein Bild von den Aussagen zu machen. Gostanza blieb bei ihrer Aussage, dass sie mit Hexerei nichts zu tun habe. Das reichte dem Vikar jedoch nicht, Gostanza wurde gefoltert, und in Erkenntnis, dass je mehr sie es bestreiten würde, desto heftiger würde sie gefoltert werden, gab sie schlussendlich zu, dass sie eine Hexe wäre.

Auf der anderen Seite gab es jedoch auch Stimmen für Gostanza, die bestätigten, dass ihnen mit ganz normalen Mittel geholfen wurde. Sie wurde zum Gespräch in den oberen Kreisen, und bei einem Pater kamen Zweifel auf, ob das Geständnis von ihr denn auch wirklich seine Richtigkeit hatte. Er reiste nach Lari und untersuchte die ganzen Vorgänge. Doch Gostanza, voller Misstrauen, blieb bei ihrem Geständnis. Er gab jedoch nicht auf, und schlussendlich gab Gostanza zu, dass sie aus Angst vor weiterer Folter bei diesem Geständnis blieb, sie jedoch nichts mit Hexerei zu tun hatte. Ihre Heilung der Menschen bestand aus Kräutern und Gebeten, sie war einfach nur sehr spirituell.

Gostanza wurde frei gelassen, der Pater angegangen, wie er es sich erlauben konnte, sich gegen seinen Vorgesetzten, den Bischof, aufzulehnen. Gostanza wurde des Landes verbannt und es wurde ihr verboten, weiter mit der Kräuterheilkunde Menschen zu behandeln.
Aber – sie blieb am Leben.

Der Zaubereiprozess gegen Gostanza da Libbiano

aus einer Dokumentation im Palazzo Pretorio in Certaldo Alto, verfilmt im Jahr 2000

Puh, auch wenn es zur damaligen Zeit dazu gehörte, die nächste Tür führt in die ‚Freiheit‘ – in den

Burg-Innenhof des Palazzo Pretorio in Certaldo Alto

Ein Innenhof halt, könnte man im ersten Moment denken. Nichts spektakuläres – oder doch?

Die Burg wurde damals direkt an die Stadtmauer des kleinen Hügelortes gebaut (oder vielleicht auch umgekehrt? 😊), und über eine kleine Treppe kann man einen Teil davon erklimmen. Mit dem Ergebnis –

die Ausblicke von der Stadtmauer am Palazzo Pretorio in Certaldo

die nicht nur die abwechslungsreiche Landschaft im Val d’Elsa zeigen. Ein Blick geht über die Stadt hinüber zu San Gimignano, ganz unverkennbar an den vielen Geschlechtertürmen zu erkennen. Ein Blick geht nach Norden, weit hinter Pisa und Lucca, wo man die Berge des Apennin erkennen kann.

Der Burgturm des Palazzo Pretorio in Certaldo

zeigt sich in seiner rückwärtigen Pracht im Burghof. Das kleine Türmchen on Top mit dem Glockenturm wurde erst etwas später hinzugefügt.

Bei geöffneten Türen, vor allem bei Sehenswürdigkeiten, schaue ich dann schon aufmerksamer. Die geöffnete Tür, die ich erspäht habe, führt nämlich in den Turm. Die Entscheidung davor gleicht dem Blümchen-rupf-Spiel: soll ich, soll ich nicht, soll ich? Vielleicht habt ihr mein kleines ‚Handicap‘ in meinen Berichten mitbekommen? Seit meinen kleinen Schlaganfällen habe ich ein Problem mit engen und steilen Treppen, auch mit dem direkten Blick nach unten. Bei normalen Besichtigungen samt Treppen kein Problem, mein Mann geht vor mir, meine Hand auf seiner Schulter, und ich komme sicher und ohne Probleme nach unten. Man muss sich ja nur zu helfen wissen, und sich nicht einschränken lassen, gell 😊

Bei Turmtreppen hat mich aber doch ein einschneidendes Erlebnis mitgeprägt. Mädelstour – meine Tochter und ich waren auf Reisen, Erfurt war das Ziel und die Besichtigung eines Turmes. Allmächtiger 🙈 eng und über Leitern ging es am Schluss nach oben, eine Umkehr war nicht mehr möglich, da ich mit den anderen Menschen mit musste. Hoch ging ja noch, aber anschließend wieder runter? 😮🤔🤦‍♀️ Rückwärts bin ich nach unten geklettert, nie wieder war mein Fazit, als ich sicher wieder auf dem Boden stand. Und wenn ich dann schon am Anfang lese, es geht mal so locker über 100 oder mehr Stufen nach oben – nein danke. Denn die Zeit, wie eine Gazelle da hoch zu klettern, ist ja schon längst vorbei 😅

Mein Mann verzichtet meist auch auf das Vergnügen einer Turmbesteigung, obwohl es sicher von manchen Plattformen tolle Fotos geben würde, so z.B. vom Petersdom in Rom. Als er heute aber meinen Blick sah, und mit Blick nach oben auf den doch relativ kleinen Turm, und mein Locken, das würde doch bestimmt coole Fotos über Certaldo Alto geben … ihr ahnt es: er kletterte für mich (und damit auch für euch 😉) die Stufen nach oben, und kam mit wunderschönen

Aussichten vom Turm des Palazzo Pretorio in Certaldo

wieder nach unten.

Von dort oben lässt sich eindeutig bestätigen, dass Certaldo Alto zurecht den Namen „Das Dorf aus roten Ziegeln“ trägt.

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Bei der Planung unserer Ausflüge lese ich im Vorfeld über die Sehenswerten Objekte, die dieser Ort zu bieten hat. So wusste ich, dass es in Certaldo Alto

die Kirche der Heiligen Tommaso und Prospero in Certaldo

geben musste. Aber wo? Sie ist ein Teil des Palazzo Pretorio und nur über die Eintrittskarte zu besichtigen. 

Ja, und wo ist die jetzt? Damit ihr nicht lange suchen müsst – im Burghof geht durch eine kleine Heckenöffnung der Weg weiter zur Kirche. 

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Das ‚Highlight‘ dieser kleinen alten Kirche ist der 1464 entstandene

„Tabernakel der Hingerichteten“ in der Kirche der Hl. Tommaso und Prospero

sofern man hier von einem Highlight sprechen kann. Denn nachdem das Todesurteil im Saal der Dieci gesprochen wurde, möglicherweise unter Folter im ‚Raum des Leids‘, egal ob es wirklich rechtmäßig war, wurden die zum Tode Verurteilten zur kleinen Ädikula, also dem kleinen Tempel, geführt, um um die Vergebung ihrer Sünden zu bitten. Was für ein Hohn, oder? Da spricht die Heiligkeit das Urteil, um die Verurteilten dann geistig zu trösten. Aber – es war halt die damalige Zeit.

Sorry, mir stellen sich oft beim Anblick der immensen Kirchenschätze die Nackenhaare hoch. Auch, wenn ich dann noch lese, dass man über Ablasshandel zu Geld kommt. Für mich hat ‚Kirche‘ als solche weniger mit Glaube zu tun, schon gar nicht, wenn ich bei meinen Recherchen nachlese, wieviel Macht von dort ausging. Meine vielen Kirchenbesuche haben deshalb nicht primär mit Glaube zu tun, sondern mich interessiert die Kunstgeschichte und die Historie der Kirche. Glaube beginnt bei mir nicht in einer Kirchenbank, schon gar nicht jeden Sonntag in der gleichen. Glaube fängt bei mir mit Nächstenliebe und Dankbarkeit an, und ja, ich kann deshalb schon auch ruhige Momente in einer Kirche erleben und aus Dank für unsere wunderbaren Reisen eine Kerze anzünden. Aber zum Glück, darf auch das jeder so handhaben wie er möchte.

Benezzo Gozzoli hat sich ab 1464 den Fresken angenommen, die heute aufwändig restauriert zu sehen sind. Das Thema seiner Gemälde geht von der Verkündigung bis zur Kreuzabnahme, und wie über alles in unserem Leben der hl. Vater segnend seine Hände hält.

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Wer war Benozzo Gozzoli?

Benezzo Gozzoli wurde so um 1420 in Florenz geboren und zählt zu den Malern der Renaissance. Durch seinen Meister kam er 1446 nach Rom, wo er drei Jahre lang arbeitete.

Freskenzyklen aus dem Leben bedeutender Heiligen widmete er sich in der Zeit, als er wieder in die Toskana zurückkehrte. Zeitgleich mit dem Tabernakel der Hingerichteten in Certaldo arbeitete er an einem großen Freskenzyklus aus dem Leben des Hl. Augustinus, den man in der Kirche Sant‘ Agostino in San Gimignango bewundern kann. Auch im Campo Santo, der monumentalen Friedhofsanlage in Pisa kann man einen Freskenzyklus von ihm aus dem Alten Testament sehen. 16 Jahre lang war dies seine Hauptaufgabe. Gozzoli starb am 04.10.1497 in Pistoia in der Nähe von Florenz und fand seine letzte Ruhe dort in einem Dominikanerkloster.

Bevor ich mich in der Kirche weiter umsehe, gibt es eine kleine Information zu den

Schutzpatronen der Kirche der Heiligen Tommaso und Prospero

Wir sind in Italien, und da wird aus dem Hl. (Apostel) Thomas Tommaso. Er war als Fischer unterwegs, bis er sich als Jünger zu Jesus hingezogen fühlt. Thomas war derjenige der seine Zweifel an der Auferstehung Jesu offen kundtat. Erst als Jesus ihn aufgefordert hatte, seine Wundmale zu berühren, glaubte er. Legenden über ihn bezeichnen ihn oft als Zwillingsbruder von Jesus. Übergroß wird er in einer der fünf Papstbasiliken auf dem Lateran, der Basilika San Giovanni in Laterano in Rom dargestellt. Wenn ihr mehr über den Apostel Thomas nachlesen möchtet, dann klickt HIER.

Weniger bekannt wird vermutlich der zweite Schutzpatron der Kirche sein: der Hl. Prospero (Prosper von Reggio Emilia) lebte Ende des 5. Jahrhundert und war Bischof. So wirklich viel habe ich nicht über ihn in Erfahrung bringen können.

Mein letzter Blick in der Kirche gilt den

Wandfresken in der Kirche der Hl. Tommaso und Prospero

die teilweise doch noch recht gut erhalten sind. Auch hier ist das menschliche Leiden das Hauptthema, was z.B. das Martyrium des Hl. Sebastian zeigt. Nur einen kleinen Teil könnt ihr hier sehen. Den Rest dürft ihr selbst vor Ort entdecken.

Hätte ich es nicht schon von unserem Bummel durch Certaldo und den Auslagen in den kleinen Läden gewusst, man könnte

das Wappen von Certaldo

glattweg übersehen. Hier in der Kirche hat es einen Platz am „Tabernakel der Hingerichteten“ – eine Zwiebel im Wappen ist erkennbar. Und die kommt nicht von ungefähr. Schon im 12. Jahrhundert wurde auf den Böden rund um Certaldo die rote Zwiebel angepflanzt. Selbst Giovanni Boccaccio, der ebenfalls (wie diese Zwiebel) untrennbar mit Certaldo verbunden ist, hat sie in seinem Buch des Decameron erwähnt.

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Nach der ausgiebigen Besichtigung der kleinen alten Kirche, geht es jetzt weiter in den wichtigsten Raum, in den

„Saal des Pfarrers“ im Palazzo Pretorio in Certaldo Alto

Alle sechs Monate wurde ja der Vikar gewechselt, und die Einführungsfeiern nach der Ernennung wurden in diesem Saal abgehalten. Außerdem war er für Paraden oder große Empfänge der geeignete Raum. Als der Palazzo noch eine Burg war, hielt der Graf hier seine Audienzen ab.

Die Wandfresken stammen aus Ende des 15. Jahrhunderts. Allesamt sollen sie die Tugenden eines Pfarrers symbolisieren, die der für eine gute Führung seiner Schäfchen benötigt: Schutz, Nächstenliebe und Gerechtigkeit. Auch der Schutzpatron der Hauptstadt Florenz ist hier symbolisiert, schließlich untersteht der Vikar, wie auch Certaldo unter deren Herrschaft.

Der Rundgang setzt sich durch

die privaten Räume des Vikars im Palazzo Pretorio in Certaldo

fort. Denn irgendwo musste der ja auch wohnen, samt Dienerschaft. Spuren von Fresken, mal mehr, mal weniger gut erhalten sind an den Wänden zu sehen. Die Räume werden für Ausstellungen genutzt.

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Das Gästehaus im Palazzo Pretorio in Certaldo Alto

verrät ja schon den Zweck. Einem Vikar standen auch Helferlein zur Seite, nicht nur was den Haushalt betraf, sondern auch bei seinen Tätigkeiten. Auch die wollten, wie auch Gäste, untergebracht werden. 

Eine Freskenmalerei, wie ich so noch nie gesehen habe, zeigt „die Madonna mit dem Kind auf dem Thron“. 1495 wurde sie gemalt und zeigt oben an der Rückenlehne Delfine. Schaut mal genau auf meinem Foto. Das nicht mehr vollständige Wappen deutet auf die Zeit der Medici und die Zeit Habsburg-Lothringen.

Über die Treppen geht es wieder nach unten in den Innhof des Palazzo, bei dem mich eine kleine geöffnete Türe anzog. Die führte in einen kleinen Garten, und mitten darin steht 

das japanische Teehaus im Palazzo Pretorio in Certaldo

Fragend warf ich meinem Mann einen Blick zu. Was tut ein japanisches Teehaus in so einem mittelalterlichen Gemäuer? Eine Tafel erklärt es: 1993 wurde Certaldo von der Partnerstadt Kanramachi in Japan das Teehaus gespendet. Wo sonst im Ort hätte man es einfügen sollen? Also fand es seinen Platz in dem kleinen Garten.

In Japan ist es üblich, dass das einfache Haus für die Teezeremonie in einem Garten steht. Auch diesen hat die Partnerstadt nach deren Tradition gestaltet.

Absolut traumhaft sind die Ausblicke Richtung Norden zum Apennin Gebirgszug. Rund 1500 km zieht er sich durch ganz Italien. Der nördliche Teil, der Beginn des Gebirgszug liegt nördlich von Lucca, doch eine ganz schöne Strecke von unserem Standort aus.

Wir haben die fünfte Woche unserer Toskanareise zwischen Pisa und Lucca verbracht. Und wäre nicht auch von hier die Anreise weit über eine Stunde gewesen, es hätte uns wirklich gereizt in die Berge zu fahren. Zu diesem Zeitpunkt war der Schnee nicht mehr gar so heftig, wie ihr ihn auf den Fotos seht. Das war einem Kälteeinbruch geschuldet, und dem Tief, das sich hartnäckig über unseren Köpfen gehalten hat.

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Ein interessanter Rundgang durch den Palazzo, und wenn ihr in Certaldo seid, dann überlegt nicht lange und schaut in das alte Gemäuer rein.

Wieder auf dem Vorplatz, kann ich jetzt ohne schmückendes Beiwerk

die Loggia des Palazzo Pretorio in Certaldo

fotografieren. Ihr wisst ja, ich mag keine Menschen auf meinen Fotos. Wenn aber ausgerechnet eine Fahrradgruppe samt einer Schulklasse, die einen Ausflug nach Certoldo machen, die überdachte Loggia belagern, dann setzt man halt den Anfang ans Ende 😅

Noch ein Blick hinauf zum Turm und zum Eingang der Kirche, der von dieser Seite aber fest verschlossen ist. Im damaligen Pfarrhaus ist heute ein Restaurant beheimatet. 

Und wir setzen unseren Bummel durch Certaldo Alto fort 😊

So kommt ihr zum Palazzo Pretorio in Certaldo Alto in der Toskana

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