Die kleine romanische Kirche der Heiligen Jacopo und Filippo befindet sich mitten im Ortskern der mittelalterlichen Hügelstadt Certaldo-Alto.
Ein Tag in Certaldo, ohne Stress und Hektik, so war der heutige Tag überschrieben. Und wenn wir früher in dem kleinen Hügelort durch sind, dann ist es so. So war der Gedanke, als wir am Morgen von unserer Ferienwohnung, die in wunderschöner Lage an der Via Francigena ist, aufbrechen. Keine 25 km von Certaldo entfernt, war es eine gemütliche Fahrt. Das mit ‚früher fertig sein‘ war aber Wunschdenken 😅 Warum? Das könnt ihr in meinem Hauptbericht zu Certaldo verfolgen.
Gemütlich ging es nach oben in den mittelalterlichen Kern der Stadt – mit einer Standseilbahn. Und direkt in die Hauptstraße in dem kleinen Ort, der Via Giovanni Boccaccio. Naja, genau genommen gibt es ja auch nur zwei Hauptwege. Autos haben nur für die Anlieger Einlass, und dann auch nur zum Be- und Entladen wie es schien. So auf halbem Weg der Straße, die direkt zum Palazzo Pretorio führt, steht die Kirche, die den hl. Jacopo und Filippo geweiht ist. Kommt jetzt mit zu
Inhaltsverzeichnis
- 1 meiner Besichtigung der Kirche der Heiligen Jacopo und Filippo in Certaldo Alto
- 1.1 Außenansicht der Kirche der Hl. Jacopo und Filippo in Certaldo
- 1.2 Die Innenansicht der Kirche Hl. Jacopo und Filippo in Certaldo
- 1.3 die Baugeschichte der Kirche der Hl. Jacopo und Filippo in Certaldo
- 1.4 Hauptaltar der Kirche der Hl. Jacopo und Filippo in Certaldo-Alto
- 1.5 der Altar mit der Urne von Beata Giulia in der Kirche Hl. Jacopo und Filippo in Certaldo
- 1.6 Das Grab von Giovanni Boccaccio in der Kirche SS. Jacopo und Flippo in Certaldo
- 1.7 das Terrakottarelief „Madonna des Schnees und der Heiligen“ von Giovanni della Robbia in der Kirche SS. Jacopo und Filippo in Certaldo
- 1.8 das Fresko „Madonna mit dem Kind“ von Memmo di Filippuccio in der Chiesa SS. Jacopo e Filippo in Certaldo
- 1.9 So kommt ihr zur Kirche der Heiligen Jacopo und Filippo in Certaldo-Alto in der Toskana
meiner Besichtigung der Kirche der Heiligen Jacopo und Filippo in Certaldo Alto
die wie üblich bei meinen Kirchenbesichtigungen mit der
Außenansicht der Kirche der Hl. Jacopo und Filippo in Certaldo
beginnt. Ein kleiner Kirchplatz ist vor der Kirche. Der wurde später noch zu einem kleinen Aufenthaltsstopp, denn das direkt an die Kirche angrenzende Kloster und Museum der sakralen Kunst hatte noch Mittagspause.
Die Innenansicht der Kirche Hl. Jacopo und Filippo in Certaldo
zeigt mit dem Klinkerbau eine Schlichtheit, wie ich sie von den romanischen Kirchen kenne. Diese alten Kirchen sind mir bei meinen Kirchenbesichtigungen die liebsten.
Zwar bieten sie oft nicht so eine reichhaltige Ausstattung wie die Kirchen der späteren Bauepochen, dafür sehe ich mich in solch einer Kirche oft in meine Kindheit zurückversetzt.
Denn viele Kirchenbesuche als kleines Mädel mit meinen Eltern waren in unserer alten romanischen Johanniskirche in Schwäbisch Gmünd, meiner Heimatstadt.
Außerdem liegt die Bauzeit dieser Kirchen im Mittelalter, in einer Zeit, wo die Stauferkaiser regierten. Auch ihnen bin ich in der Geschichte zu Certaldo begegnet. Deshalb gibt es vor der weiteren Besichtigung einen Sprung in
die Baugeschichte der Kirche der Hl. Jacopo und Filippo in Certaldo
Ende des 12. Jahrhunderts wurde sie erbaut. Genau zeitgleich, als sich die kleine Mittelalterstadt entwickelte. Eine Chorherrengemeinschaft ließ sich in der Stadt neben der Kirche nieder. Und jedes Kloster braucht nun mal eine Kirche. Ab 1422 war es die Augustinergemeinschaft, und die Augustiner belebten das Kloster und die Kirche.
Sie durften in Frieden dort oben in dem Hügeldorf leben, bis 1783 Kaiser Joseph II. mit seinen Reformen daherkam. Ich hab ihn bereits bei unserer Langzeitreise nach Prag in der Schublade der ‚Stinkstiefel-Regenten‘ einsortiert. Ihr erinnert euch vielleicht? Kaiser Joseph ist der, der nur mit seiner Mutter Maria Theresia regieren durfte. Als die 1780 starb, und er Alleinherrscher wurde konnte er seine Reformen, die ihm wohl schon einige Zeit im Hirn geisterten, umsetzen. Sehr unter Kritik, aber ein Kaiser duldet ja keine Kritik – er bestimmt was Sache ist. Und er hat mit der Kirchenreform wahrlich für Aufsehen gesorgt. Derart, dass sogar der Papst nach Wien reiste, um ihn umzustimmen. Pfff Papst, ich bestimme. Und zwar, dass ich damit die Kirche an mich binde. Alle Anordnungen des Papstes mussten zuerst von Staatsseite genehmigt werden. Joseph II. bestimmte mit dieser Reform, wo ein Priester seine Ausbildung absolvieren darf. Nämlich ausschließlich in staatlichen Seminarhäusern. Sämtliche Orden oder kirchliche Institutionen die nicht der Allgemeinheit dienten, (also Schulen, Krankenpflege oder die Seelsorge) verschwanden von der Bildfläche. Das Vermögen wurde kassiert. Damit verschwanden auch Kunstschätze in die Hallen des Kaisers. Pfui Teufel, oder?
Das war dann auch 1783 das Schicksal der Augustinergemeinschaft, da Certaldo zu dieser Zeit von Habsburg-Lothringen regiert wurde. Belebt wurde es später wieder von verschiedenen Orden, bis dann das Kloster 2001 zum Museum für sakrale Kunst wurde. Die Kirche dient als Pfarrkirche für Certaldo-Alto.
In so kleinen Kirchen, denn die Kirche ist einschiffig, geht mein erster Blick zum
Hauptaltar der Kirche der Hl. Jacopo und Filippo in Certaldo-Alto
und dem
Kruzifix von Petrognano
das vom Museum in die Kirche umziehen durfte. Mit einem Ausmaß von 2,20 x 2,05 Meter der lebensgroßen Christusfigur, schauen den Besucher weit geöffnete Augen an. So, als wolle Christus selbst im Angesicht seines Todes noch über den Tod triumphieren.
Im 19. Jahrhundert soll das Kruzifix in der Kirche San Pietro a Petrognango gefunden worden sein. 1202 hatten die Florentiner die Stadt zerstört. Woher aber tatsächlich das übergroße Holzkreuz mit dem geschnitzten Christus kommen, oder aus welchem Zeitalter es stammt? Es darf nur gemutmaßt werden. Und da schwirren Zahlen, die so um 1240 vermuten. Auch wer dieses Kunstwerk geschaffen hat, bleibt im Dunkeln.
Rechts und links vom Altar herrliche Terracottaarbeiten, die aus der Künstlerfamilie Robbiana stammen, die für diese Arbeiten berühmt wurde.
Die Schätze der Dorfkirche sind klein, aber fein. Hochverehrt wird
der Altar mit der Urne von Beata Giulia in der Kirche Hl. Jacopo und Filippo in Certaldo
Solche Ehrungen ziehen mich meist magisch an, denn damit ist immer eine Persönlichkeit mit der Kirche oder dem Ort verbunden. Und das ist auch hier so –
aus dem Leben der seligen Beata Giulia
die gleichzeitig auch die Schutzpatronin von Certaldo ist. Jedes Jahr wird ihrer am ersten Sonntag im September mit einer feierlichen Prozession gedacht, die sich vom mittelalterlichen Certaldo-Alto zur Pfarrkirche in Certaldo-Basso zieht.
Als Giulia della Rena wurde sie so um 1319 in Certaldo geboren, wurde aber in jungen Jahren bereits Waise. Damit sie ein Auskommen hatte, arbeitete sie in Florenz bei einer Familie als Magd. Als junges Mädchen von dem beschaulichen Certaldo in die große Stadt Florenz – das Mädel war geschockt, wie es da zuging. 1337 fasste sie den Entschluss der Laiengemeinschaft der Augustiner-Eremiten beizutreten.
Was sind Augustiner-Eremiten?
Unter dem Oberbegriff „Augustiner“, die in allen Ordensgemeinschaften nach den Ordensregeln des Augustinus von Hippo leben, zählen im engeren Sinne (neben den Dominkanern oder Malteser) die Augustiner-Chorherren und die Augustiner-Eremiten. Diesen durften auch Augustinernonnen angehören.
Bereits im 5. Jahrhundert lassen sich ihre Spuren nach Nordafrika verfolgen. Ab 428 gründeten geflohene Eremiten, der Vandaleneinfall zwang sie zur Flucht, in Nord- und Mittelitalien neue Gemeinschaften nach den Regeln von Augustinus. Chorherren und Eremiten blieben aber streng getrennt, bis 1244 Papst Innozenz IV. beide in einem Orden vereinte.
Ein Ende des abgeschiedenen Eremitenlebens setzte dann 1256 Papst Alexander IV.. Ein großer mittelalterlicher Bettelorden entstand, der seinen Schwerpunkt in der Seelsorge und der Bildungsarbeit sah. Aber auch Ausbildung und Mission zählte zu ihren Aufgaben.
Guilia kehrte in ihren Heimatort Certaldo zurück. Eine für sie selbstverständliche Tat ließ sie ‚berühmt‘ werden: sie rettete ein Kind aus einem brennenden Haus. Ihr war der Rummel um ihre Person jedoch alles andere als lieb. Sie zog sich von der Welt komplett zurück und lies sich in einer Zelle im Kloster neben der Kirche einmauern. Außer einem Fenster und einem Kruzifix gab sie sich ihrer selbstgewählten Einsiedelei nach. Immer wieder sollen ihr Kinder Essen ans Fenster gebracht haben. Und egal zu welcher Jahreszeit gab sie den Kindern als Dank Blumen zurück. Es ist sogar überliefert, dass sie diese mitsamt dem gebrachten Essen zurückgab. Kein Mensch wusste, woher Guilia in ihrer geschlossenen Zelle an diese Blumen kam.
Am 9. Januar 1367 begannen ohne fremdes Zutun auf einmal die Glocken der Burg im Ort zu läuten. Der Pfarrer und die Bürger ahnten, dass dies mit Julia zu tun haben muss. Sie brachen die Mauer ihrer Zelle auf, und fanden die Ordensfrau im Gebet auf den Knien. Neben ihr eine Vase mit frischen Blumen. Es wird berichtet, dass denjenigen, die sich im Glauben an Giulia gewandt haben geholfen wurde.
1372 wurde ihr zu Ehren der Altar in der Kirche errichtet und ihre sterblichen Überreste dort aufgebahrt. Am 18. Mai 1819 sprach sie Papst Pius VII. offiziell selig. Da es im Januar schwierig mit einer Prozession wäre, wurde diese kurzerhand auf Anfang September gelegt.
Wer genau die verschiedenen Altäre in Kirchen oder Museen anschaut, der findet in der Predella oft kleine Gemälde. Am Alter der Beata Giulia erzählen die kleinen Gemälde ihre Geschichte: die Rettung des Kindes aus den Flammen, wie Kinder ihr Essen an ihr Fenster bringen oder ihren Tod.
Unübersehbar hat die zweite Bekanntheit in der Kirche ihren Platz.
Das Grab von Giovanni Boccaccio in der Kirche SS. Jacopo und Flippo in Certaldo
Dieser Name ist untrennbar mit Certaldo verbunden. Er hat in der Mitte der Kirche ein Relief, an der Wand findet man seine Büste. Wie ich lesen konnte, liegen aber die sterblichen Überreste des Dichters nicht direkt unter dem Relief, sondern in kleiner Entfernung davon. Aber es war sein ausdrücklicher Wunsch, dass er in Certaldo in dieser Kirche begraben wird.
Aus dem Leben des Dichters Giovanni Boccaccio
Wo genau er 1313 geboren wurde, ist nicht genau bekannt, War’s in Certaldo oder doch in Florenz, wo er dann bei seinem Vater lebte? Als 14-jähriger schickte ihn dann der Vater, dem eine Bankgesellschaft gehörte, in seine Filiale nach Neapel, damit er sich dort mit den Geschäften eines Kaufmanns vertraut macht. Väter können viel wollen, hat er sich in Neapel wohl gedacht. Denn anstatt sich wirklich dem Studium zu widmen, entwickelte er eine Leidenschaft für die Literatur und schenkte dieser mehr Zeit. Er verkehrte am Hof des Königs von Neapel, sah die Eleganz und den Lebensstil, und es blieb nicht aus, dass er sich durch die Bekanntschaften eine entsprechende Bildung aneignete.
Die ersten Werke von ihm entstanden. Doch 1340 kehrte er wegen Geldmangel nach Florenz zurück, um dort in verschiedenen Anstellungen zu arbeiten. In Florenz kann man ihn übrigens lebensgroß in der Statuenreihe außen an den Uffizien bewundern. Möglicherweise haben ihn die Kontraste ‚Leben bei Hof‘ – ‚bürgerliches Leben‘ inspiriert. Er schrieb vermutlich so nach 1349 sein berühmtestes Werk, das Dekameron. Das ist eine Sammlung von 100 Novellen, die von sieben Frauen und drei jungen Männern erzählt, die vor der Pest geflüchtet sind, die 1348 in Florenz wütete. Noch mehr über sein Leben und das Dekameron könnt ihr in meinem Beitrag über ihn in seinem Museum in Certaldo nachlesen.
Er ging nämlich in einem gesundheitlich schlechten Zustand nach Certaldo, um dort weiter zu arbeiten. Am 21. Dezember 1375 verstarb er in seinem Haus in der Nähe der Kirche.
Wunderschön ist
das Terrakottarelief „Madonna des Schnees und der Heiligen“ von Giovanni della Robbia in der Kirche SS. Jacopo und Filippo in Certaldo
Einer Legende zufolge soll im 4. Jahrhundert in Cervia (in der Nähe von Ravenna) ein römischer Patrizier mitten im Sommer von einer Jungfrau geträumt haben. Er wurde in seinem Traum von ihr aufgefordert, eine Kirche zu bauen, genau an der Stelle, wo am nächsten Tag Schnee liegen würde. Diesen Traum teilte er seinem Bischof mit. Und tatsächlich lag am 5. August an einer Stelle in Cervia Schnee. Die Kirche wurde gebaut, und Giovanni della Robbia hat sie in einer wunderschönen Terrakottaarbeit dargestellt.
Ich habe die Arbeiten der ‚della Robbia Familie‘ in Florenz kennenlernen dürfen. Giovanni lernte bei seinem Vater Andrea della Robbia und übernahm nach dessen Tod die Werkstatt. Ob Arbeiten vom Vater oder vom Sohn stammen, oder von einem anderen Familienmitglied, ist nur schwer zu unterscheiden. Keiner setzte seine Signatur auf die Arbeiten. Erst Giovanni fing an, seine Arbeiten zu signieren, und setzte oft sogar noch das Datum seiner Arbeit dazu. Denn mittlerweile haben andere Töpfer erkannt, wie berühmt die Arbeiten aus der Robbia-Werkstatt waren und sprangen auf diesen Zug mit Imitaten auf. Also nicht immer wo man einen Robbia vermutet, wurde es von einem Robbia geschaffen.
Gut gefallen hat mir auch
das Fresko „Madonna mit dem Kind“ von Memmo di Filippuccio in der Chiesa SS. Jacopo e Filippo in Certaldo
Diesem Maler, der um 1250 in Siena geboren wurde, und seine Werkstatt in San Gimignano hatte, könnt ihr u.a. auch mit seinen Werken in der Kathedrale von San Gimignano begegnen.
Die ist übrigens wirklich einen Besuch wert, eine Kirche voll mit Freskenmalerei.
Ich erlebe es immer wieder auf unseren Reisen – auch in einer kleinen, von außen unscheinbaren Kirche können sich so manche Schätze verbergen.