Giovanni Boccaccio, bedeutendster Autor der italienischen Prosa im Mittelalter, verbrachte seine letzten Jahre in Certaldo in der Toskana. Sein Haus wurde zum Andenken an ihn ein Museum.
Ein Tag in Certaldo, eigentlich kein großes Programm heute. So dachten wir am Morgen, als wir die ca. 25 km von unserer Ferienwohnung nach Certaldo fuhren. Das mit dem ‚kein großes Programm‘ war mal wieder ein klarer Fall von Denkste 😅 Denn in dem kleinen Hügelort Certaldo-Alto gibt es doch mehr zu sehen, als wir am Anfang dachten.
Abgesehen von einem wirklich schnuggeligen, mittelalterlichen Ortsbild trumpft dieses Örtchen da auf dem Berg doch tatsächlich mit drei interessanten und sehenswerten Museen. Auch die kleine Dorfkirche, die den Hl. Jacopo und Filippo geweiht ist, sollte man nicht unbeachtet lassen. In einem kleinen Büro gibt es für unter 10 Euro Zutritt zum Palazzo Pretorio, einst Burg, dann Sitz des Vikars und Machtzentrum des Ortes. Ihm angeschlossen ist die kleine Kirche mit dem „Tabernakel der Hingerichteten“. Die Zusammenhänge, was es mit diesem Tabernakel auf sich hat, könnt ihr in meinem Bericht zum Palazzo Pretorio lesen. Inklusive im Ticket ist noch der Besuch im Museum für sakrale Kunst, das im ehemaligen Kloster seinen Platz hat und eben auch das Museum über Giovanni Boccaccio.
Manchmal, das muss ich ehrlich zugeben, werden mir Zusammenhänge erst beim Schreiben meiner Berichte und den Recherchen dazu, so richtig klar. So geschehen auch mit Giovanni Boccaccio, mit dem man im Örtchen mehrfach konfrontiert wird. Damit ihr, solltet ihr Certaldo auf eurem Besichtigungsplan in der Toskana haben, von vorne herein im Bilde seid, nehm ich euch jetzt mit zu
Inhaltsverzeichnis
- 1 meinem Besuch im Haus des Giovanni Boccaccio in Certaldo-Alto in der Toskana
meinem Besuch im Haus des Giovanni Boccaccio in Certaldo-Alto in der Toskana
Ein direktes Foto von dem Haus außen kann ich euch leider nicht bieten.
Aber von oben kann ich euch die Via Giovanni Boccaccio zeigen 😊 (aufgenommen vom Turm im Palazzo Pretorio)
Ihr erkennt den Kirchturm. Links davon, direkt an der kleinen Straße sind zwei Haustürme zu sehen. Der erste Turm gehört zum Haus von Boccaccio, in dem heute, ihm zu Ehren ein Museum eingerichtet ist.
Damit ihr eine Vorstellung habt, über wen ich in diesem Bericht schreibe, gibt es ein
Bildnis von Giovanni Boccaccio im Haus von Boccaccio in Certaldo
Die Kleidung entsprechend der Zeitepoche in der wir uns befinden – Mittelalter.
Das Museum im Haus des Giovanni Boccaccio in Certaldo-Alto
Das ursprüngliche Haus von Boccaccio ist nach einem Bombenangriff 1944 zerstört worden. Es wurde jedoch original wieder so aufgebaut, wie es zu Zeiten von Boccaccio von ihm bewohnt wurde. Ein bisschen verwinkelt, mit kleinen Räumen.
Sorgsam wird hier das Gedenken an berühmten Dichter aufrecht erhalten. Das Herzstück des Museums ist ohne Zweifel die Bibliothek mit Ausgaben von den Werken Boccaccios und Studien über ihm. Mehr als 4.000 Bände wurden hier zusammengetragen und können in den Regalen und Schränken hinter Glas bewundert werden. Hut ab vor Giuseppe Fontanelli, der diesen Aufbau mit seiner Arbeit geleistet hat.
Kleine Münzsammlungen oder Schuhe die bei der Restaurierung gefunden wurden, ergänzen die Ausstellung. Meine Fotos in den Ausstellungen halten sich in Grenzen.
Aus dem Leben von Giovanni Boccaccio
Wo genau am 16. Juni 1313 Giovanni Boccaccio geboren wurde, ist nicht bekannt. Es kann in Certaldo gewesen sein, manche schreiben von Paris und Florenz. Er kam als unehelicher Sohn eines Kaufmanns auf die Welt, und wuchs bereits kurze Zeit nach der Geburt als Halbwaise auf. Seine Kindheit verbrachte er im Haus seines Vaters mit dessen Frau in Florenz.
Wie es in damaliger Zeit üblich war, bestimmte der Vater den Werdegang der Kinder. Der wollte, dass sein Sohn in seine Fußstapfen tritt und ebenfalls Banker wird. Für die Ausbildung schickte er ihn, 14-jährig, in seine Filiale nach Neapel. Doch anstatt sich dem Studium zu widmen, entwickelte er lieber seine Leidenschaft zur Literatur. Es wird berichtetet, dass ihn seine Liebe zu einer Tochter des Königs von Neapel, zum höfischen Leben geführt habe. Er verkehrte mit Intellektuellen und legte sich selber eine entsprechende Bildung zu. Leider blieb die Liebe nicht von Erfolg gekrönt. Seine Angebetete, selber verheiratet, gab ihrem Liebhaber den Laufpass.
In jener Zeit sollen aber seine ersten Werke entstanden sein, in Versform und Prosa. Wie es nun genau war – ob sein Vater einsah, dass aus seinem Sohn nie ein Banker werden würde, oder ob Giovanni in Neapel in Geldnöte kam (wir werden es wohl nicht mehr erfahren) – Giovanni ging zurück nach Florenz. Eltern wollen ja immer das Beste für ihre Kinder, so empfand der Vater, Verse-Schreiben ist ja gut und schön, aber das bringt doch kein Geld ein. Arbeite was gescheites. Er steckte ihn ins Studium für Kirchenrecht. Nach 1340 bekleidete er verschiedene Ämter im Staatsdienst. Aber auch nur gezwungenermaßen, da er Geld brauchte.
Wie sagt man so schön: die besten Geschichten schreibt das Leben. Die Stadt war die beste Inspiration für seine literarischen Aufschriebe. Sein wichtigstes Werk wurde von einem Ereignis geprägt: die Pestepidemie, die 1348 in Italien und auch in Florenz wütete.
Das „Decamerone“ von Giovanni Boccaccio
eine Novelle, genauer gesagt eine Sammlung von 100 Novellen, die er zwischen 1349 und 1353 schrieb. Abgeleitet ist der Name von „deka“- zehn und „hemera“ für den Tag.
Es war die Zeit als 1348 in Florenz die Pest wütete und sieben junge Frauen aus Angst aus der Stadt fliehen wollen. Aber ohne männliche Begleitung? Sie finden drei junge Männer, die mit ihnen auf die Hügel nach Fiesole in ein Landhaus ziehen, um dort der tödlichen Seuche zu entgehen. Doch wie soll man zehn Tage in Abgeschiedenheit verbringen? Die Gruppe versucht sich gegenseitig zu unterhalten. Dafür wird jeden Tag einer bestimmt, der das Thema dieses Tages vorgibt. Jeder der anderen muss sich dazu eine Geschichte ausdenken.
Ein „Zehn-Tage-Werk“ also, sehr umstritten in der Schreibweise, die von normal bis derb und frivol reichte. Auch der Klerus bekam sein Fett weg. Seine Geschichten waren teils erfunden, teils entsprachen sie wahren Begebenheiten und lösten einen Sturm der Entrüstung aus in jener Zeit.
Wer durch die Via Giovanni Boccaccio in Certaldo schlendert, der wird in einer Vorhalle eines Hauses Figuren aus dem Decamerone begegnen.
Dem Dichter war sehr wohl bewusst, dass er mit diesem Werk provoziert, und es wurde nicht zu aller Freude wohlwollend aufgenommen.
Auch mit der Verlegung des Werkes, das er in Italienisch geschrieben hatte, war es zu dieser Zeit schwierig. Selbst seinem besten Freund war es zuviel, die hunderte geschriebener Seiten zu lesen.
Hätte Boccaccio zu dieser Zeit schon gewusst, dass er mit diesem Werk später noch zum Vorreiter der Prosa-Kunst werden würde. Wäre ihm dann der Erfolg zu Kopf gestiegen? So blieb er bescheiden in seinem Tun.
Wenn ihr mehr über dieses Meisterwerk, das Decameron lesen möchtet, ich habe alle 100 Novellen zum Nachlesen gefunden. Klickt einfach HIER.
Giovanni Boccaccio freundete sich mit Francesco Petrarca an. Er zählt zusammen mit Dante Alighieri und ihm zu den wichtigsten Vertretern der frühen italienischen Literatur. Der interessierte ihn für die klassischen Texte, und Boccaccio studierte diese in den folgenden Jahren intensiv.
Vielleicht passiert es jedem Menschen in seinem Leben, dass man vieles was geschehen war in Frage stellt. So ging es auch Boccaccio 1360, als er durch eine Begegnung mit dem Kartäusermönch Cianni über sein Leben nachdachte, vor allem über verschiedene Werke, die er geschrieben hatte. Er wollte sie vernichten. Darunter soll auch das Decamerone gewesen sein, so wird berichtet. Andere Stimmen stellen dies jedoch in Frage. Alleinig sein Freund Petrarca soll ihn davon abgehalten haben, seine Werke zu zerstören.
1373 erhielt er den Auftrag aus Florenz, öffentlich die von Dante Alighieri geschriebene „Göttliche Komödie“ zu lesen, außerdem zu erklären und zu kommentieren. Der Auftrag kam nicht von ungefähr, denn er hatte viele Jahre zuvor quasi den Kult und die Verehrung von Dante in einer von ihm verfassten Biografie geschürt.
Finanziell ging es ihm zu dieser Zeit aber schon nicht mehr rosig. Er kam so recht und schlecht über die Runden. Und auf ein Erbe von seinem Vater konnte er nicht mehr hoffen. Der Banker ging pleite mit seiner Bank und war selber mittellos. Seine finanzielle Situation musste wohl so schlimm gewesen sein, dass ihm sein Freund Geld vermachte, damit er sich Winterkleidung beschaffen konnte. Aber nicht nur die finanzielle Schieflage machte ihm zu schaffen, auch gesundheitlich ging es ihm nicht gut. Dazu die Krise, dass doch nicht alles so gut war, was er geschaffen hat. Er zog sich vom Leben zurück und verbrachte die Jahre bis zu seinem Tod in Certaldo, dem Geburtsort seines Vaters. In dieser Zeit entstanden noch ein paar Werke von ihm, bis er dann am 21. Dezember 1375 verstarb.
Die Grabstätte von Giovanni Boccaccio in Certaldo
Entsprechend seinem letzten Wunsch wurde er ein paar Schritte weiter in der Kirche SS. Jacopo und Filippo beigesetzt. Im Mittelgang der einschiffigen kleinen Pfarrkirche liegt seine Grabplatte, unter der er jedoch nicht begraben liegt. Man kann nur spekulieren, unter welcher der Fliesen er tatsächlich liegt. Eine weitere Ehrung hängt mit einer Büste von ihm an der Wand.
Auch das ist in vielen Fällen berühmter Personen der Fall – die Ehrung kommt oft erst nach dem Tod. Literaturhistoriker lobten ihn für seine Werke, und zählen ihn zu den bedeutendsten italienischen Novellisten. Er wurde bzw. wird sogar mit Voltaire verglichen.
Die Begeisterung für sein Werk vom Decamerone stieg, und sogar der Papst Pius II. soll aus seinen Werken diverse Kapitel in seine Sammlung übernommen haben. Ob Boccaccio zu Lebzeiten schon bewusst war, dass er mit seinen Werken ein großes Buch aufgeschlagen hat? War vielleicht seine Bescheidenheit zu Lebzeiten vielleicht nur ein Schutzschild seiner Person? Wir werden es nie erfahren. Und er wird nie erfahren, dass sogar 2013 zu seinem 700. Geburtstag eine 2-Euro-Gedenkmünze erschienen ist.
Solltet ihr also Certaldo auf eurem Besucherzettel stehen haben, dann wisst ihr, warum man dem berühmten Bürger der Stadt so verehrt.